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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Ohne Vorkenntnisse spielbar
Krimi mit Kontrasten
Wunderbar absurdes Rollenspiel
Schnelle Rundentaktik
Unausgegorene Lernkurve
Tolle Atmosphäre, aber veraltete Technik
2
Fazit
3
Wertung
Yakuza: Like a Dragon im GamePro-Test.
Ein Aprilscherz! Dafür hielten die meisten das geleakte Bildmaterial eines angeblichen neuen Yakuza-Spiels, das Ende März 2019 in den sozialen Medien auftauchte. Es zeigte Charaktere, die sich im typischen Setting einer japanischen Großstadt mit Baseballschläger und Handtasche gegen Raufbolde zur Wehr setzen - allerdings in Form eines rundenbasierten Kampfsystems. Deftige Echtzeitschlägereien sind seit dem ersten Yakuza-Spiel ein integraler Bestandteil der Serie. Der Gedanke, eine Fortsetzung würde plötzlich zum JRPG mutieren, erschien völlig absurd.
Heute halten wir Yakuza: Like a Dragon tatsächlich in Händen und sind erstaunt: Was wir Anfangs für einen Scherz hielten, entpuppt sich als mutiger Schritt des Entwicklerstudios. Die Ära des ehemaligen Hauptprotagonisten Kazuma Kiryu ging mit dem letzten Teil zu Ende. Nun betritt der neue Hauptcharakter Ichiban Kasuga die Bühne. Kiryu war ein ziemlicher Trauerkloß, weshalb der neue Held durch seine herzliche, lockere Persönlichkeit frischen Wind in die Serie bringt. Außerdem macht Ichiban schon in den ersten Spielminuten klar, dass er seine Jugend mit dem JRPG-Klassiker Dragon Quest verbracht hat. Deshalb stellt er sich Kämpfe im Geiste immer wie ein Rollenspiel vor. Und plötzlich ergibt der Genrewechsel auf witzige Art sogar Sinn.
Ohne Vorkenntnisse spielbar
Mit Ichiban macht die Yakuza-Serie vor allem erzählerisch eine wichtige Zäsur: Zwar spielt sich alles noch im etablierten Universum ab, aber Ichiban hat seinen eigenen Erzählstrang, der kein Vorwissen benötigt. Auch wenn es in einigen Kapiteln an bekannte Orte geht, spielt sich alles hauptsächlich in einer neuen Stadt ab, die dem echten Yokohama nachempfunden ist. Ähnlich wie beim Spin-off Judgment brauchen sich Neueinsteiger also keine Sorgen zu machen. Wer die Reihe gespielt hat, wird trotzdem Referenzen zu den Vorgängern entdecken. Ein paar Ereignisse laufen parallel zu Kiryus Geschichte, und beide Erzählstränge haben indirekte Auswirkungen aufeinander.
Der neue Ort Yokohama ist der bisher umfangreichste in der Serie. Ihr besucht darüber hinaus noch andere bekannte Orte, wie zum Beispiel Osaka.
Auch diesmal gibt es einen starken Kontrast zwischen abgedrehtem Humor und ernsten Szenen mit harten Schicksalsschlägen: Das Spiel beginnt in den frühen Neunzigern, wo Ichiban nur ein kleines Licht in dem komplexen Geflecht der Yakuza-Familien ist. Er kennt seine leiblichen Eltern nicht und wurde von den Mitarbeitern eines Bordells großgezogen. Er identifiziert sich deshalb stark mit den Underdogs der japanischen Gesellschaft. Ob Obdachlose, Prostituierte, Bauarbeiter oder Kioskverkäufer - Ichiban versteht, wie schwer es für manche sein kann, über die Runden zu kommen.
Er hilft deshalb nicht nur wo er kann, sondern ist sogar bereit, für andere ins Gefängnis zu gehen. Genau das geschieht, als der Patriarch seiner Yakuza-Familie ihn darum bittet, sich der Polizei für einen Mord zu stellen, den er gar nicht begangen hat. Ichiban steht in der Schuld, also willigt er ein. Doch als er 18 Jahre später wieder entlassen wird … kann sich kaum noch jemand an ihn erinnern. Sogar der Patriarch ignoriert ihn. Schwer enttäuscht und ohne Dach über dem Kopf versucht Ichiban herauszufinden, was in den letzten zwei Jahrzehnten geschehen ist. Wer wurde damals ermordet und warum?
Krimi mit Kontrasten
Die Handlung ist einer der wichtigsten Aspekte an Yakuza: Like a Dragon, und sie ist wieder so gut, dass sie für manche Spieler die Hauptmotivation sein dürfte. Sie ist wie ein guter Krimi geschrieben, bei der es keine klassische Aufteilung zwischen Gut und Böse gibt. Was mit einer persönlichen Angelegenheit von Ichiban beginnt, entwickelt sich zu einer komplexen Detektivgeschichte, bei der eine teils sehr brutale Verschwörung in der japanischen (und chinesischen) Unterwelt aufgedeckt wird.
Für die Handlung lässt sich das Spiel in diesem Zuge sehr viel Zeit. Ihr solltet genug Sitzfleisch mitbringen, denn schon beim Prolog haben wir uns rund zwei Stunden Zwischensequenzen angesehen, mit minimalen Interaktionsmöglichkeiten dazwischen. Ja, der Umfang der Cutscenes erreicht diesmal die Dimension eines Spiels von Hideo Kojima, wobei der Fokus nicht auf Actionszenen, sondern auf Gesprächen liegt. Manchen dürfte das zu viel Gerede sein, aber wenn's euch packt, wollt ihr unbedingt wissen, wie es ausgeht.
Diese Suppenköchin ist einer der Hilfscharaktere, die man im Kampf rufen kann. Das funktioniert so ähnlich wie Beschwörungen in Final Fantasy.
Das liegt vor allem an den starken Charakteren, die so viel Tiefe haben, dass viele von ihnen ein eigenes Spiel rechtfertigen würden. Das merkt man vor allem in den optionalen Nebenaufgaben, die neben der Hauptstory gelöst werden können. Sie heitern die teils sehr düstere Haupthandlung auf. Dort trefft ihr auf viele Charaktere, die nicht direkt etwas mit der Handlung zu tun haben, die Spielwelt aber lebendiger machen. Da Ichiban zunächst auf der Straße landet, lernt er zum Beispiel die Obdachlosenszene kennen. Dort wird er Zeuge davon, wie sich die ehrenamtliche Suppenköchin in einen Obdachlosen verliebt. Solche kleinen menschlichen Geschichten mit viel Herz hat das Spiel an jeder Ecke. Genauso wie zahlreiche Minispiele
Die neuen Minispiele: Die Yakuza-Serie ist bekannt dafür, eine Reihe von Minispielen und Arcade-Klassikern in der Spielwelt unterzubringen. Daran hat sich auch diesmal nichts geändert und viele davon kennt man aus den Vorgängern. Es gibt aber auch vier neue, verrückte Spiele wie Dragon Kart - eine Art Mario Kart-Klon - Dosen sammeln, Kinoklassiker anschauen und ... Investoren überzeugen. Ihr seht, bei "verrückt" haben wir wahrlich nicht übertrieben.
Wunderbar absurdes Rollenspiel
So gut die Story auch ist: Der echte Geniestreich liegt in der Art, wie das Spiel die Gepflogenheiten eines klassischen JRPGs auf das moderne Großstadt-Setting überträgt. Jobs bzw. Klassen wechselt ihr beim Arbeitsamt, Ichibans Persönlichkeitswerte verbessert ihr in der Berufsschule, Zusatzmissionen gibts bei der Zeitarbeitsvermittlung, und Equipment verbessert ihr bei einer Dame, die ihre eigene kleine Werkstatt hat. Nebenmissionen schalten Hilfscharaktere frei, die ähnlich funktionieren wie die Summons aus Final Fantasy. Heilgegenstände sind Snacks, die ihr zum Beispiel in Supermärkten erwerben könnt. Aber ihr könnt auch Samen sammeln, mit denen ihr z.B. Gemüse anpflanzt. Diese werden für Lunchboxen benötigt, die euch im Kampf heilen.
Es sieht gewöhnlich aus, aber das Arbeitsamt ist einer der wichtigsten Orte im Spiel. Hier könnt ihr die Klassen wechseln.
Da Ichiban eine blühende Fantasie hat, kämpfen wir gegen das, was er sich vorstellt. Sehen unsere Gegner auf der Straße noch wie Kleinganoven oder andere Schläger aus, verwandeln sich manche von ihnen in absurde Fantasiefiguren, sobald der Kampf beginnt. Manchmal glühen einfach nur ihre Augen rot. Manchmal sind sie aber auch auf einmal halbnackt, mit Öl überzogen und tragen einen Schwimmreifen. Oft reiben wir uns lachend die Augen, weil wir nicht glauben können, wie bescheuert die Gegner auf einmal aussehen. Diesen Trash-Charme spielen die Entwickler komplett aus und präsentieren Animationen in übertriebenen Schnitten und Kamerawinkeln. Das erinnert an alte japanische Serien wie Super Sentai (Vorlage der Power Rangers).
Gegner könnt ihr schon vorher auf der Karte sehen, Zufallskämpfe gibt es also keine. Es gibt auch keinen separaten Bildschirm dafür, denn Gefechte finden an Ort und Stelle auf der Straße statt. Eure Party wächst im Laufe der Handlung auf vier aktive Personen an, die alle gleichzeitig am Geschehen teilnehmen. Ihr bestimmt nacheinander jede ihrer Aktionen, könnt aber auch die KI kämpfen lassen. Die ist aber nicht sonderlich klug und verbaselt bei schwierigen Gegnern gerne ihre Aktionen. Später kommt noch eine Handvoll zusätzlicher Charaktere dazu, die ihre eigenen Fähigkeiten mitbringen. Theoretisch habt ihr für jeden Zug unendlich Zeit, aber trotzdem ist es wichtig, das Momentum zu bewahren.
Ichiban stellt sich seine Gegner als abstruse Fantasiegestalten vor. Hier begegnen wir dem … ähm … aalglatten Typen.
Eure Gegner bewegen sich die ganze Zeit auf dem Spielfeld umher und können in eine mehr oder weniger günstige Position geraten. Stehen zum Beispiel mehrere nebeneinander, könnt ihr einen Flächenangriff starten, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Wie in den Vorgängern schnappen sich eure Charaktere Gegenstände aus der Umgebung, um sie als Waffen zu zweckentfremden. Fahrrad, Mülltonne, Reklametafel - alles, was nicht niet- und nagelfest ist.
Die außergewöhnlichsten Jobs: Jobs wie Wahrsager, Hostess oder Koch bestimmen darüber, welche Fähigkeiten euer Charakter hat, und wie die Grundeigenschaften aussehen. Mit der richtigen Kombination könnt ihr euch eine starke Party zusammenstellen, die taktisch zusammenarbeitet. Schade: Zwei der Jobs erhaltet ihr nur über kostenpflichtige DLCs.
Schnelle Rundentaktik
Neben der ständigen Bewegung auf dem Feld ist Blocken ein involviertes Element. Wählt ihr diese Aktion aus dem Menü aus, gelingt sie in jedem Fall, aber kostet euch einen Spielzug. Ihr könnt aber auch die Blocken-Taste drücken, während der Gegner auf euch einschlägt. Das Zeitfenster dafür ist sehr gering, und ihr müsst die Taste für jeden gegnerischen Schlag separat drücken. Besteht die Attacke des Gegners zum Beispiel aus sechs Hieben, müsst ihr alle davon im richtigen Rhythmus treffen.
Das Risiko kann sich aber lohnen, denn bei Erfolg sind manche Gegner danach betäubt. Durch Momentum und Blocken wirken die Kämpfe relativ schnell, wie man es von der Serie gewohnt ist. Sonderaktionen wie das Rufen von Hilfscharakteren oder Spezialattacken sind selbstverständlich nur beschränkt verfügbar und laden sich erst über einen längeren Zeitraum auf. Die erwähnte Suppenköchin kocht zum Beispiel ein heilendes Gericht für die ganze Party. Man kann aber auch einen Sumoringer rufen, der den Boden zum Beben bringt und großen Schaden verursacht. Jede dieser Animationen ist zum Schreien komisch, aber wenn ihr euch daran sattgesehen habt, könnt ihr sie auch abbrechen.
Unausgegorene Lernkurve
Auf den ersten Blick wirkt Yakuza: Like a Dragon gegenüber anderen JRPGs relativ überschaubar und reduziert. Die Auswahl der Jobs und die richtige Figurenkonstellation wird aber zunehmend wichtiger. Eine der Klassen ist zum Beispiel die des Idols. Mit ihrem Popstar-Charme ist sie in der Lage ihre Mitstreiter anzufeuern und die Stats im Kampf kurzzeitig zu verbessern. Das kann man gut mit stark offensiven Berufen kombinieren, wie etwa der Büroarbeiterin. Die teilt mit Taschenrechner, Papierschneider und Heftzwecken ordentlich aus, aber verfügt über schwächere Abwehrmöglichkeiten.
Im Charaktermenü könnt ihr euren Partymitgliedern Kleidung oder Accessoires anlegen, die sich auf ihre Werte auswirken. Diese kauft ihr oder bekommt sie durch erfolgreiche Missionen.
Jede Klasse ist unterschiedlich empfindlich gegenüber verschiedenen Angriffsarten. Als Tänzer ist man zum Beispiel resistenter gegen Fausthiebe, während der Straßenmusiker Schwertern besser ausweicht. Viel Raum für Fehler bleibt nur im ersten Drittel der Kampagne. Anschließend gibt es einen großen Sprung in der Schwierigkeitsstufe. Dann solltet ihr nicht nur eure Taktiken draufhaben, sondern der Sprung führt auch dazu, dass ihr euch im Dungeon oder in der Arena weiter hochleveln müsst.
Eure Gegner sind auf einmal sehr stark. Während es Spaß macht die detailverliebte und abwechslungsreiche Oberwelt Yokohama zu erforschen, ist der Kerker wirklich die Kanalisation darunter. Ihr seht hier also nichts weiter als Abwasser und blanke Betonwände. Kein Vergleich zu den bevölkerten Einkaufsstraßen, betretbaren Läden und der mit Neonschildern überfluteten Chinatown. In diesen Gegenden macht es Spaß, jede Ecke zu erforschen und durch Entdeckungen Stufenaufstiege zu erlangen. Je höher Ichibans Charakterwerte steigen, desto mehr Interaktionsmöglichkeiten hat er mit der Spielwelt. Sein Charisma kann z.B. neue Dialogoptionen öffnen. Der plötzliche Schwierigkeitsanstieg und der Zwang zum Grinden wirken daher wie eine ärgerliche Barriere.
Tolle Atmosphäre, aber veraltete Technik
Hätten die Entwickler die Balance etwas besser hinbekommen, könnten wir Yakuza: Like a Dragon uneingeschränkt empfehlen. Was uns ebenso daran hindert, ist die mittlerweile angestaubte Technik. Gerade bei der relativ flachen Tagesbeleuchtung wird sichtbar, dass die Serie noch in der alten Konsolengeneration steckt. Fehlen Schattenwurf und stimmungsvolle Leuchtschilder bei Nacht, entzaubert das viele Straßenecken von Yokohama.
Die Technik wirkt mittlerweile ein bisschen angestaubt, aber die Partikeleffekte im Kampf können sich sehen lassen!
Authentisch und detailliert wirkt die Umgebung trotzdem, weil kein Winkel gleich aussieht. Die Grafikengine spielt ihre Stärken aber vor allem zu den Abendstunden aus. Die Spiegelungen und Beleuchtungseffekte lassen manche Bilder aus dem Fotomodus im ersten Moment realistisch aussehen. Vor allem, wenn die Gesichter der Charaktere zu sehen sind. Die sind nur in ausgewählten Cutscenes aufwendig animiert, sehen aber immer klasse aus. Übrigens könnt ihr wieder zwischen japanischem Original oder englischer Synchronisation wählen, die Deutsch untertitelt sind. Obwohl wir einige Tippfehler gefunden haben, liegen Stimmen und Übersetzung auf einem ähnlich hohen Niveau wie in Judgment.